Freitag, März 10, 2006

Hirschenriegler

Dünne Schäfchenwolken am Himmel, er ist ganz voll davon.
Sie kommen aus Süden.
Adriasegler kennen diese Vorboten: Jugowetter.
Die Kälte bricht.

Bei der Zusammenkunft sind schon viele Jäger.
Viele Bekannte.
Grüß Gott Herr Doktor. - Seervaaas. - Weidmannsheil.
Überall breites Grinsen.

Auch meinen Jagdchef Bernd entdeck ich. Er hat sich im Gasthaus am Ende der Theke hinter einem Tee mit Rum versteckt und freut sich sehr, daß ich da bin, endlich ist er nicht mehr allein:
"Du wir müssen schauen, daß wir beinander bleiben." - Keine Panik, jetzt ist ja Dein getreuer Ekkehard bei Dir.

Die Jäger werden in drei Gruppen aufgeteilt. Bernd und ich kommen - Gottseidank - in die gleiche Gruppe.
Wir fahren ein paar Kilometer weiter, um dort "unter uns" den weiteren Ablauf zu besprechen.
Der Jagdleiter fragt den Obmann, ob er wohl Schnaps mit hat.
Ich greife in die Brusttasche meiner Jacke, im Gesicht ein breites Gönnerlächeln, in der Seele ein richtiges Schelmengrinsen: Serbischer Slibovitz aus dem Kosovo, ein Schnaps für Bärentöter, der haut jeden um.
Als die Hand wieder aus der Tasche fährt, schläft das Schelmengrinsen - und natürlich auch das Gönnerlächeln - ein: Der Bügelverschluß ist offen, die Flasche ist leer und erst jetzt merke ich, daß ich intensiven Geruch verströme. Jacke, Pullover, Hemd und Hose, alles ist schnapsgetränkt.

Schallendes Gelächter.
Ha ha ha, Dir wird aber heut nix zulaufen, ha ha, an Jaga, der sooo riecht, ha ha ha ha.
Was bleibt anderes übrig, als mitzulachen.
Schnell die sinnlose - weil leere - Schnapsflasche ins Auto gebracht und auf geht´s, Halali!

Beim Verlassen der Asphaltstraße verstummen die Gespräche.
Ganz lautlos geht es aber nicht. Die Erde hat viel, viel Wasser aufgesogen, wie ein Schwamm. Das Wasser ist gefroren und jetzt fühlt sich der Weg an wie Windbäckerei. Die Erde bricht knirschend unter den Schuhen.
Immer wieder Bachln, die durch ihr Plätschern unsere Geräusche tarnen.
Die Bachln sind schon halb zugefroren, viele Steine mit Eis überzogen.





Schön ists.

Wir schreiten dahin.
Mir ist heute das Herz so leicht.
Warum?
Egal, wenn man Dir gibt, dann nimm.

Bernd wird abgestellt.
Ich seh gleich, daß er einen Superplatz hat und zeig ihm Daumen, Zeige- und Mittelfinger auf meinen gespitzten Lippen.
"Anblick!" - "Anblick."

Selbst werd ich auf einer Wiese abgestellt.
Ich kuschle mich in eine Mulde bei Erlenstauden.
Rechts Wald, Dickicht, Gestrüpp, da ist keine Aufmerksamkeit vonnöten.
Geradeaus abfallende Wiese, Waldrand mit aufgelockerten Bäumen, dann - im Wald - noch einmal Wiese.
Links, nur über den Rand meiner Mulde zu erkennen, Wiese, schneebedeckt. Hellgraue, fast weiße Erlen, Fichten, ein paar Lärchen, gelb zwar, aber wegen des "weichen" Wetters nicht so kräftig in der Farbe.
Die Schäfchenwolken haben sich nach Norden verzogen, der Himmel ist blau.
Wer Jugowetter kennt, glaubt dem Blau nicht.

Oh wie schön. Und so leicht das Herz.

Eine halbe Stunde nach Triebbeginn ein Schuß!
In unserem Trieb!

Entsichern, angespannte Erwartung - nichts.

Sichern.
Die Gedanken schweifen ab.
Sie steigen auf zu den runden Gipfeln der Nockberge und darüber hinaus.
Nur Freude, einfache, unerklärliche, grundlose, elementare Freude.
Es ist schön.
Und es ist schön, daß es schön ist.

Nach Stunden kommen die anderen Jäger von ihren Ständen zurück.
Gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg.
"Hast g´hört den Schuß? - Der war bei uns im Trieb."

Jäger um Jäger wird bei seinem Stand abgeholt.
"Hast Du g´schoss´n?" - "Naa. Aber den Schuß hab i g´hört, der war bei uns."

Bernd steht am Weg.
Ich seh sein Gesicht und ich weiß.
Ein Gemisch von Aufregung und Freude, noch Spuren der vergangenen Anspannung, noch leichte Zweifel.
Die Frage ist rein rhetorisch: "Hast g´schoss´n?"
- "Ja. Auf a Tier. Im Glas hab i am Anschuß Schweiß g´sehn."

Nur Bernd und unser Pirschführer mit seinem Hund gehen zum Anschuß.
Wir anderen bleiben am Weg.
Nach kurzer Zeit kommen sie wieder.
"Hamma schon. Das Tier liegt."
"Weidmannsheil!" "Weidmannsheil!" - "Weidmannsdank."




Das Klösterle ist Jahrhunderte alt.
Es war einmal ein richtiges kleines Kloster.
Heute sorgt sich ein ortsansässiger Verein um die Erhaltung des Bauwerkes.
Die Kirche schaut nach Osten.
Im Süden davon steht das Hauptgebäude.
Dazwischen, also westlich der Kirche, nördlich des Hauptgebäudes, ist Rasen.
Vor der Kirchentür liegt ein Bett aus Fichtenreisig.
An den Ecken finnische Fackeln.
Auf dem Reisig die Strecke.
Das Tier (Bernd´s Tier), ein Gamsbock, eine Gamsgeiß, eine Rehgeiß, zwei Rehkitze.




Die Sonne ist schon fast untergegangen.
Dünne Nebelschwaden bilden sich, ziehen die Berghänge, die Waldränder entlang.
Ganz leicht riecht man Rauch.
Novembergeruch.

Der Pfarrer steht vor der Strecke. Mit zwei Ministranten zur Segnung bereit.




Aber zuerst spricht der Hegeringleiter.



Jeder Jäger trägt seinen Bruch. Die erfolgreichen Schützen rechts, die anderen links.
Hölzerne, ernste Gesichter lauschen den Worten.




Dank.
Dank für die heutige Strecke, Dank für das Jagdjahr.
Dank an St. Hubertus.
Bei der Strecke steht der katholische Pfarrer.
Dennoch fühl ich, der Dank gilt nicht nur St. Hubertus, er ist viel größer, viel archaischer, viel gewaltiger, gilt vielen Göttern, gilt dem Großen Geist.
Gilt auch dem Wild.
Jenem Wild, daß heute vor uns auf der Strecke liegt und auch jedem Stück, dem irgendeiner von uns im vergangenen Jahr den Tod gebracht hat.

Die Jagdhornbläser blasen.
Hirsch tot.
Gams tot.
Reh tot.




Dank.

Die Jagasänger singen. Tiefe Männerstimmen. Melodische Kärntner Jagdlieder.

Dank.

Die hölzernen Gesichter sind ernst.
Jeder fühlt so ähnlich wie ich.
Manche Adamsäpfel hüpfen. Hier und da ein Schlucken.
Manche Augen glänzen ein bißchen feucht.
Die finnischen Fackeln knistern.
Es riecht nach Rauch.
Novembergeruch.




Dank.
Weidmannsdank.